Guillermo Kahlo oder Carl Wilhelm Kahlo wurde 1871 im deutschen Pforzheim in eine Familie von Juwelieren und Kaufleuten hineingeboren. Sein Schicksal aber führte ihn 1880 nach Mexiko, wo er später unauslöschliche Spuren in der Welt der Fotographie hinterlassen sollte.
Als er 20 Jahre alt war, beschloss Wilhelm, mit dem Geld, das ihm sein Vater hinterlassen hatte, nach Mexiko zu reisen. Eine Befreiung von seiner Stiefmutter, mit der er sich nicht besonders gut verstand. Außerdem hatten die Arbeiten und Reisebeschreibungen von Alexander von Humboldt sein Interesse an Mexiko geweckt. In seiner neuen Heimat änderte er seinen Namen in Guillermo.
Am 12. Juni 1894 stellte er bei der Stadtverwaltung Mexikos vor einem Notar einen Antrag auf Einbürgerung, wobei er den Wunsch äußerte, sich dauerhaft im Stadtgebiet niederzulassen. Er wollte „aufgrund von tiefen Gefühlen wie Zuneigung zu und Verbundenheit mit diesem Land [...] auch die Rechte eines mexikanischen Staatsbürgers in Anspruch nehmen“, wie es in einem Dokument heißt, das im Historischen Archiv von Mexiko-Stadt aufbewahrt wird.
Kahlo begann seine Karriere als professioneller Fotograf im Jahr 1898, als er den Bau der Casa Boker, eines großen Eisenwaren- und Stahlgeschäfts an der Ecke der Straßen Coliseo Viejo und Espíritu Santo (heute heißen diese Straßen 16 de Septiembre bzw. Isabel la Católica), fotografisch dokumentierte.
Vom Beginn der Bauarbeiten im Jahr 1898 bis zur Einweihung am 3. Juli 1900 hat Guillermo Kahlo eine Reihe von Fotografien angefertigt. Es handelt sich um 80 Aufnahmen, fast alle im Format 19 x 24, die in einem Album aufbewahrt werden, das sich im Besitz der Familie Boker (oder Böker, wie der deutsche Familienname ursprünglich geschrieben wurde) befindet.
1901 eröffnete er zusammen mit seinem Schwiegervater, der ebenfalls Fotograf war, ein Atelier in der Avenida 16 de Septiembre. In dieser Zeit perfektionierte Kahlo seine Arbeiten. Er arbeitete bei der Zeitschrift El Mundo Ilustrado in der Rubrik Mexico Moderno mit und veröffentlichte Artikel und Fotographien von Gebäuden, Innenräumen, Zimmern, Fabriken usw.
1904 erschien sein erster Bildband, eine erste Zusammenstellung von Aufnahmen in Form eines Albums mit dem Titel Mexiko in deutscher und spanischer Sprache. Es handelt sich um eine Sammlung von 50 Fotografien, in denen Kahlo das Bild einiger Straßen und Gebäude von Mexiko-Stadt festhielt. Im Jahr 2002 wurde das Album von der Universidad Iberoamericana neu aufgelegt und erhielt 2003 von dem INAH eine Auszeichnung.
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Eine weitere bemerkenswerte Serie Kahlos ist die Dokumentation der Produktionsprozesse der Compañía Fundidora de Fierro y Acero de Monterrey, S.A., eine Serie von 149 Fotos, die zu Zwecken der Öffentlichkeitsarbeit und Werbung aufgenommen wurden und von denen sich einige noch im Archiv des Unternehmens befinden. Weitere dieser Aufnahmen, etwa 34 Dokumente gelangen in den 1920er Jahren in die Obhut des Ibero-Amerikanischen Instituts in Berlin. Der Direktor der Bibliothek des Instituts lernte diese Aufnahmen auf einer Reise durch Mexiko kennen und wollte diese vor der Zerstörung retten, wie er erklärte.
Kahlo führte auch eine fotografische Dokumentation einiger Kirchen und indigener Gemeinschaften des Landes durch und stellte wichtige architektonische Werke wie religiöse Bauwerke, Straßen, Sehenswürdigkeiten sowie Motive aus Industrie und Wirtschaft des Mexikos der Jahrhundertwende fotografisch dar.
Kahlo stieg zum offiziellen Architekturfotograf von Porfirio Díaz auf. Zu seinen Werken, die in dieser Zeit entstanden, gehören die Dokumentation des Engels der Unabhängigkeit (oder der Geflügelte Sieg), des Palastes der schönen Künste (Bellas Artes) und des Postpalastes (Palacio de Correos).
In den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts genoss er großes Ansehen nicht nur als Architekturfotograf, sondern auch als Porträtist von Gruppen, ein wenig bekannter Charakterzug des Fotografen. Außerdem teilte Guillermo Kahlo offenbar die Leidenschaft seiner Tochter Frida für Selbstporträts, denn es sind mehrere Aufnahmen aus verschiedenen Jahren erhalten; so aus 1907, 1914, 1920 und 1925.
All diese Arbeiten verschafften Guillermo Kahlo die Anerkennung des „ersten offiziellen Fotografen des mexikanischen Kulturerbes“ und, was ihm selbst im Weiteren noch nützlicher war, ein Einkommen, das ausreichte, um ein neues Haus für seine Familie bauen zu können. Das Haus, das wir heute als La Casa Azul kennen, und das das Frida-Kahlo-Museum im Stadtteil Coyoacán beherbergt.
Kahlos Blick durch seine Kamera auf Denkmäler und die verschiedensten Stätten ist tadellos, akribisch und präzise. Und seine Fotographien sind das Ergebnis einer akribischen Arbeit, die die Analyse des inneren und äußeren Raums und der Zeit umfasst. In diesem Sinne findet der Betrachter seiner Aufnahmen kaum Menschen, weder in Gruppen noch Einzelne, die von seinen Motiven und Aussagen ablenken.
„Sein“, so seine Biographen, „sehr ordentlicher, sauberer und präziser ästhetischer Vorschlag, der es uns erlaubt, die Größe des Gebäudes bis in die kleinsten Details zu beobachten“, zeichnet Guillermo Kahlo als „einen der bemerkenswertesten Architekturfotografen aller Zeiten in Mexiko“ aus.
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